Neben dem Entgleisen und dem ungewollten Entkuppeln gehört das Stottern oder Steckenbleiben von Lokomotiven auf kurzen spannungslosen Abschnitten (Weichen oder Schmutz) zu den unangenehmsten Zwischenfällen bei Modellbahnanlagen. Dem versuchen die Modellbahnhersteller durch Schwungmassen auf der Motorachse entgegen zu wirken. Allerdings ist deren Wirkung gerade im unteren Geschwindigkeitsbereich, wo die Auslaufwirkung am notwendigsten ist, fast Null. Die gespeicherte Rotationsenergie ist vom Quadrat der Drehzahl abhängig und daher nur im oberen Geschwindigkeitsbereich merklich wirksam.

Im Gegensatz zum Analogbetrieb können beim Digitalbetrieb durch Installation eines Energiespeichers in Form eines Kondensators auf einfache Weise kurze spannungslose Abschnitte überbrückt werden. Bei den moderneren Decodern sind Lötanschlüsse für den Stützkondensator vorhanden oder sogar auf den Steckern vorhanden (Stift 6 bei PluX16 und Plux22).

Der überbrückbare Spannungsausfall ist umso größer, …

  • … desto größer die Kapazität (µF) des Kondensators ist.
  • … desto geringer der Stromverbrauch des Motors ist.
  • … desto geringer der Stromverbrauch der Beleuchtung und sonstiger Verbraucher ist.

Als Versuchsträger wurde eine weit verbreitete H0-Lokomotive ausgewählt, eine „Herkules“ ER20 von Piko. Als Decoder wurde ein preiswerter Tams LD-G-32 installiert, die Decoder-Werkseinstellung wurde belassen, die elektrische Verzögerung wurde mittels Funktionstaste F4 abgeschaltet.

Bei den Versuchsreihen wurde die Geschwindigkeit in 10 Schritten, der Stützkondensator in 3 Schritten und die Beleuchtung in zwei Schritten verändert.

Der Versuch sollte Zahlenwerte liefern, wie viel Kapazität der Stützkondensator haben muss, um eine nennenswerte Spannungslücke zu überbrücken.

1. Kondensatorauswahl:

Aufgrund des nur beschränkt zur Verfügung stehenden Einbauvolumens für den Kondensator können nicht beliebig große Kondensatoren installiert werden.
Das für den Kondensator benötigte Volumen hängt hauptsächlich von der Kapazität (µF) ab.
Zusätzlich spielt bei gleicher Kapazität die Spannungsfestigkeit eine Rolle. Tams und ESU empfehlen mindestens 25 Volt. Beim Einsatz auf analogen Wechselspannungsanlagen sollen die Kondensatoren 35 V aushalten können. Wenn garantiert ist, dass die Schienenspannung nie größer wird, können auch 16 Volt Kondensatoren verwendet werden.

Kondensatoren unter 100 µF sind fast wirkungslos. ESU empfiehlt 1 000 bis 10 000 µF. Tams wiederum warnt vor Kondensatoren größer als 470 µF, weil durch den Auflade-Stromstoß bei großen Kondensatoren die Dioden des Gleichrichters auf dem Decoder zerstört werden könnten.

Zur Begrenzung des Auflade-Stromstoßes gibt es aber die bekannte Widerstands-Dioden-Schutzschaltung. Zwischen dem Decoder und dem Kondensator wird ein 100 Ohm Widerstand geschaltet und mit einer Diode überbrückt. Einzelheiten (besonders den polaritätsrichtigen Anschluss des Kondensators an den Decoder) sind den Decoder-Beipackzetteln zu entnehmen.

2. Versuchsvorbereitung:

Auf gerader Strecke wurde mittels Trennstelle ein 40 cm langes spannungsloses Gleisstück erzeugt. Die Lok ohne Stützkondensator fuhr mit Schleichfahrt in das spannungslose Gleisstück ein. Die Stelle, an der die Lok zum Stillstand kam (Position der vorderen Pufferteller) wurde als Nullpunkt am Gleis markiert.

3. Versuchsdurchführung:

Am Digitrax-Steuergerät DT400 lässt sich die Fahrstufe der Lokomotive in 99 Stufen einstellen und an einer Digitalanzeige ablesen. Daher war die Fahrstufeneinstellung bei den nachfolgenden Versuchsreihen sehr gut reproduzierbar. Die Lok wurden mit den Fahrstufen 10, 20, 30, usw. in den spannungslosen Gleisabschnitt einfahren gelassen und dann der Abstand vom vorher markierten Nullpunkt bis zu den vorderen Puffertellern gemessen.
Zusätzlich wurden mit dem Fleischmann-Geschwindigkeitsmesswagen Kat. Nr. 5555 Messfahrten unternommen, um die Geschwindigkeit der Lok in der jeweiligen Fahrstufe zu ermitteln. Dadurch konnte im folgenden Diagramm der Ausrollweg nach Spannungsausfall nicht über der Fahrstufe, sondern über der Geschwindigkeit aufgetragen werden.

Die Tests erfolgten in drei Varianten der Versuchslok: Ohne Stützkondensator, 1000 µF, 2000 µF. Als weiterer Parameter wurden die Fahrten mit und ohne Lokbeleuchtung durchgeführt.

4. Versuchsergebnisse:

Ausrollweg(Für eine größere Darstellung Grafik bitte anklicken)

Die Ergebnisse der Versuche sind in der nachfolgenden Grafik dargestellt. Auf der waagrechten Achse ist die Geschwindigkeit in Modell-km/h dargestellt, mit der die Lokomotive in den spannungslosen Abschnitt einfuhr. Auf der senkrechten Achse ist der Weg dargestellt, den die Lok im spannungslosen Weg zurücklegte.

Es sind drei Linienpaare zu sehen.
Das blaue Linienpaar zeigt den Ausrollweg der unveränderten Lok, also ohne Stützkondensator.
Das grüne Linienpaar zeigt den Ausrollweg mit 1000 µF-Kondensator und das rote mit 2000 µF.
Wie zu erwarten war, ist der Ausrollweg mit 2000 µF am größten. Der Ausrollweg mit 1000 µF liegt in der Mitte zwischen 2000 µF und ohne Kondensator.

Die durchgehende bzw. gestrichelte Linie bei jedem der drei Linienpaare zeigt den Ausrollweg ohne und mit eingeschalteter Beleuchtung. Da die Beleuchtung ebenso wie der Motor eine Last für den Stützkondensator darstellt, ist der Ausrollweg mit eingeschalteter Beleuchtung immer etwas kürzer als ohne Beleuchtung.
Selbstverständlich gelten die Zahlenwerte für den Ausrollweg nur für die eingangs erwähnte „Standard“-Lokomotive. Für andere Loks wird die Ausrollstrecke je nach Stromverbrauch länger oder kürzer sein.


5. Fazit

Mittels eines Elektrolytkondensators ist eine nennenswerte Überbrückung von Spannungs-aussetzern möglich. Besonders erfreulich ist es, das dieses „elektronische Schwungrad“ besonders im niedrigen Geschwindigkeitsbereich bis 40 km/h eine große Wirkung zeigt, denn gegenüber der „normalen“ Lok hat sich der Ausrollweg der Lok mit dem 2000 µF Zusatzkondensator verdreifacht! Das ist von großer Bedeutung, denn die Wirkung der mechanischen Schwungmassen auf der Motorwelle ist im unteren Drehzahlbereich leider fast Null.  

Horst Nowy