Die Hersfelder Eisenbahn-Freunde haben im Juni 2022 eine eintägige Exkursion zur Selketalbahn im Harz unternommen, an der einige Mitglieder teilgenommen haben. Es ging dabei auch darum, zu erfahren, wie das 9 € Ticket in der Praxis wirkt. Dieses Ticket für eine verstärkte Nutzung des ÖPNV und sein Gebrauch sind nicht unumstritten.

Fahrplan HarzreiseEine Ein-Tages-Reise in den Harz wurde schon seit längerem geplant, wobei der Brocken ein interessantes Ziel darstellt. Zwar erhielten wir zunächst die Aussage, man könne das 9 € Ticket auch zur Fahrt auf den Brocken nutzen, später wurden die Nutzungsbedingungen jedoch präzisiert, so daß spezielle touristische Bergbahnen ausgenommen wurden. Daher wurde als neues Ziel eine Reise nach Quedlinburg über die Selketalbahn gewählt. Diese steht – zu Unrecht – im Schatten der Brockenbahn und der Harzquerbahn. Die Selketalbahn führt, wie der Name sagt, durch das Tal des Flusses Selke, eine waldreiche und von Felsen geprägte Gegend, teilweise führt die Strecke über Hochebenen.

Auf der Selketalbahn werden sowohl Dampfzüge als auch Dieseltriebwagen eingesetzt, wobei die Dampfzüge mit zwei Personenwagen und einem Gepäck/Personenwagen recht kurz sind. Es verkehren nur wenige Dampfzüge, so daß wir – um möglichst lange Strecken im Dampfzug zurücklegen zu können – eine sehr früh in Bad Hersfeld um 6:15 Uhr beginnende Fahrt gewählt haben und eine Rückfahrt, die uns um 21:09 nach Hause brachte.

Foto DieseltriebwagenNach dreimaligem Umsteigen wurde Nordhausen erreicht, wo wir am Bahnhofsvorplatz in eine Zweisystem-Straßenbahn (600 V Gleichstrom / Diesel) stiegen, die uns im Dieselbetrieb über die Strecke der Harzer Schmalspurbahnen nach Illfeld brachte. Dieseltriebwagen brachten uns über Stiege nach Alexisbad, wo der Dampfzug nach Quedlinburg erreicht wurde. Da der Dieseltriebwagen ab Illfeld ziemlich leer war, ergaben sich schon mit dessen Lokführer interessante Gespräche. Auch Lok- und Zugführer weiterer Züge waren sehr gut ansprechbar und auskunftsfreudig.

Die Rückfahrt in Quedlinburg begann allerdings schon nach 50 Minuten, so daß für eine Stadtbesichtigung leider keine Zeit blieb; uns als Eisenbahnfreunden war allerdings die Nutzung möglichst vieler Dampfzüge wichtiger. Ein Dampfzug der Selketalbahn begann im acht km entfernten Gernrode. In Eisfelder Talmühle stiegen wir dann in einen langen Dampfzug der Harzquerbahn um, der vom Brocken kam.

Unsere Reise haben wir so geplant, daß wir antizyklisch zur Masse der 9 € Ticket-Nutzer fuhren:

  • Außerhalb von Ferien
  • In der Wochenmitte, nicht am Wochenende
  • Mit sehr frühem Beginn vor dem Schülerverkehr
  • Reiseziel und Streckennutzung auf weniger nachgefragten Linien

Die Qualität der Zugreise war allerdings nicht überall zufriedenstellend:

  • Der Anschluß einer von Rotenburg (Fulda) kommenden Teilgruppe in Bebra wurde fast verpaßt, da vor dem Regionalexpress erst zwei Güterzüge vorgelassen wurden.
  • Die Reisezeit war in Teilabschnitten recht lang, so wegen der Fahrt nach Eschwege (Stadt) auf einer Stichstrecke; früher fuhr man direkt über Eschwege West, was 15 Minuten kürzer war.
  • Das gastronomische Angebot an den Strecken der touristisch genutzten Harzer Schmalspurbahn ist sehr eingeschränkt. An den Umsteige-Bahnhöfen sind viele Restaurants und Kioske nicht mehr geöffnet.
  • Die eingesetzten Fahrzeuge sind nicht immer geeignet; so verkehrte ein recht kurzer zweiteiliger Triebwagen im Abschnitt Eichenberg – Leinefelde, der schon für den einsetzenden Schülerverkehr nicht ausreichte. Auf Strecken der Harzer Schmalspurbahn werden Neubautriebwagen eingesetzt, die kein touristisches Reiseerlebnis ermöglichen. Die Fahrgäste sitzen mit dem Rücken zum Fenster und ein Ausblick nach vorn durch den Führerstand ist kaum möglich; ältere eingesetzte Triebwagen sind hier besser.

Interessant ist auch, welche anderen 9 € Ticket-Reisenden uns begegnet sind:

  • Hausfrauen, die zum Einkaufen in die nicht ganz nahe gelegene Großstadt fuhren
  • Eisenbahnfans der in der Szene beliebten Selketalbahn
  • „Ungeübte“ Fernreisende, denen wir helfen konnten, indem wir für sie die passenden, ausgedruckten Reiseverbindungen aus dem Fahrkartenautomat gezogen haben.

Insgesamt ein schönes Reiseerlebnis dem weitere folgen sollten. Die aus unserer Sicht größte Leistung des 9 € Tickets: Der Zugangswiderstand zum ÖV wird wesentlich reduziert, weil die Reisenden sich nicht mehr mit den in den jeweiligen Verkehrsverbünden gültigen Tarifsystemen auseinandersetzen müssen. Das 9 € Ticket kann trotz aller Problematik eine Möglichkeit sein, einen Großteil der Bevölkerung dazu zu bewegen, den ÖV zu nutzen. Im Gegensatz zum Tankrabatt kommen die eingesetzten Mittel auf jeden Fall bei der Bevölkerung an.

 

Fotos zum Vergrößern einfach anklicken            Text und Fotos: Carsten-Rainer Warninghoff

 

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